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IGNORED

Memorandum zum Waffenrecht


Michael Grote

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Memorandum (Stand 19.04.2009)

Wird die freiheitlich-demokratische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland durch Reaktionen auf die Bluttat von Winnenden gefährdet?

Nachfolgend wird der Versuch unternommen, die Problematik des legalen Waffenbesitzes aus einem bisher eher wenig beachteten Blickwinkel zu betrachten.

Einleitung und Überblick

Nach einem solchem Ereignis wie „Winnenden" ist es sicherlich verlockend, erneut Verschärfungen des Waffengesetzes zu fordern – steht man damit doch in Einklang mit der Boulevardpresse und lenkt vor allem davon ab, dass die Verschärfungen der vergangenen 37 Jahre „Winnenden" und andere Schreckenstaten nicht nur nicht verhindert, sondern möglicherweise sogar herbeigeführt haben.

Das Waffengesetz ist von alters her eine der Nagelproben der Demokratie: Wo sonst zeigt sich besser das Vertrauen, welches die Regierenden in die Regierten setzen? Demzufolge trachteten Diktaturen, totalitäre Regime – aber auch Besetzungsmächte – immer danach, ihre Untertanen waffen- und damit wehrlos zu machen und zu halten und es dauerte jeweils nie lange, bis Presse- und Meinungsfreiheit sowie freie Wahlen ebenfalls der Vergangenheit angehörten. Es war dagegen immer Kennzeichen (westlicher) Demokratien, ihren Bürgern (die nicht „Untertanen" sind) den Legalbesitz von (Schuss-)waffen zu gestatten. Diese Erfahrung war seinerzeit für die US-Amerikaner Anlass, bei der Formulierung ihrer „Constitution" das Recht auf Waffenbesitz in die Verfassung aufzunehmen.

Es ist unerlässlich für das Funktionieren eines jeden Staatswesens, dass sich die gesellschaftlich relevanten Gruppierungen gegenseitig stützen – wie dieses System auch immer aussehen mag. Kultur, Politik, bürgerliche Gruppierungen, Presse, Behörden aber auch Religionsgemeinschaften ziehen/zogen an einem Strang und garantier(t)en damit die Stabilität gegenüber inneren und äußeren Feinden. Auch unsere Demokratie funktioniert(e) nach diesem Muster.

Wenn nun aber die gesellschaftlich relevanten Gruppierungen diese gegenseitige Stützung aufkündigen, ist das Ganze in seiner Stabilität gefährdet.

Jahrzehntelang war das Recht auf legalen Waffenbesitz im Wertesystem der demokratischen Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland verankert – im Gegensatz zur Situation in der Sowjetischen Besatzungszone resp. der DDR, wo die herrschende Ideologie sogar die Zerstörung von Antiquitäten in Museen verlangte.

Schauen wir auf die chronologische Abfolge:

Nachdem in den mittleren und späten 60er Jahren des 20. Jahrhunderts im Deutschen Bundestag Vorstöße zu einer Verschärfung des Bundeswaffengesetzes ergebnislos gewesen waren – es mangelte einfach an nachvollziehbaren Begründungen, die über das Stadium des (Irr-)Glaubens hinausgingen – war dann Anfang der 70er mit dem Terrorismus („Bader-Meinhof-Bande", „Anarchisten", „APO", „RAF") ein Aufhänger gefunden, das Waffenrecht zu revidieren.

Unser Staat sah sich daher gefordert, einer neuen Art der Kriminalität entgegenzutreten: der politisch motivierten Gewalt mit dem Hintergrund einer linken Ideologie.

1972 wurde dann eine erhebliche Verschärfung des Waffenrechtes durchgebracht, gleichwohl die Verbände der legalen Waffenbesitzer (seinerzeit im Wesentlichen „Kuratorium zu Förderung historischer Waffensammlungen", „DSB", „Jagdschutzverband" und „VdW") darauf hingewiesen hatten, dass die nunmehr vom Gesetz erfassten Gegenstände bei Terroristen gar nicht gefragt waren.

Diese Verbände hatten damals nicht Fantasie genug, die Entwicklung vorauszusehen, welche durch die waffengesetzlichen Änderungen losgetreten wurde. Zu sehr hatten sie den damaligen Politikern vertraut, welche die Verbände damit beruhigten, dass das Bundeswaffengesetz nur gegen den Störer der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit gerichtet sei und dass der Sammler, Schütze und Jäger keineswegs Ziel waffenrechtlicher Änderungen wäre und er weiterhin seinem Hobby nachgehen könne.

In der Zeit nach 1972 konnte man aber feststellen, dass das angestrebte (vorgeschobene?) Ziel durch die Verschärfung des Waffenrechtes nicht erreicht wurde; demzufolge sahen die Verantwortlichen Änderungsbedarf in Form von zahlreichen Verordnungen zum Waffengesetz. Über diese fanden technische Feinheiten und Spezialregelungen Einzug. Damit aber war eine Lawine losgetreten und eine Richtung vorgegeben: In den folgenden Jahren wurden immer wieder neue Entwürfe zum Waffengesetz vorgelegt wie auch Änderungen vorgenommen, die jeweils mit „Verschärfungen" zu beschreiben sind. Bezeichnend war und ist, dass in der Diskussionen um waffengesetzliche Regelungen selten Sachargumente im Vordergrund standen; eher dagegen wurden tragische Ereignisse wie nunmehr „Winnenden" missbraucht, um Gesetzesverschärfungen durchzusetzen, für welche es außerhalb dieser jeweiligen emotionsgeladenen Situation keine Mehrheit gegeben hätte.

Erhöhung der inneren Sicherheit?

Wem fällt es eigentlich auf, dass parallel zu den regelmäßigen Verschärfungen des Waffenrechts eine Eskalation der Gewalt in der Gesellschaft beklagt wird? Wer gesteht ein, dass eine zunehmende Brutalität zu erkennen ist? Wer hat schon einmal darüber nachgedacht, dass sich bei uns in Deutschland Schulmassaker erst in den Jahren nach den vielen Waffenrechtsverschärfungen ereignet haben?

Will man denen Glauben schenken, die das Heil der Welt in einer Verminderung des legalen Waffenbesitzes sehen, dann hätte man vor 1972 – als noch das moderate 1. Waffengesetz der noch jungen Bundesrepublik Deutschland galt – seines Lebens nicht sicher sein dürfen. Dann würden wir heute dagegen ohne Angst in die dunkelsten Ecken unserer Großstädte gehen können und würden Amokläufe nur noch aus dem Geschichtsunterricht kennen, wenn die Zeit vor dem Wendepunkt im Jahre 1972 behandelt wird, in dem die Weichen für ein friedliches Zusammenleben gestellt wurden.

Es wären dazu noch heute in waffenrechtlich liberalen Ländern Mord und Totschlag auf der Tagesordnung – und in England z.B. hätte es nach der Entwaffnung der Bürger keinen Anstieg der (Schusswaffen-)Kriminalität geben dürfen.

Das genaue Gegenteil aber ist der Fall (1).

Die sich immer schneller drehende Spirale der waffenrechtlichen Verschärfungen konnte weder „Emsdetten" noch „Erfurt" noch „Winnenden" verhindern … Ausweislich einer Inflation an Verschärfungen (manchmal verharmlosend als „Präzisierung" beschrieben …) stehen die Protagonisten dieser Entwicklung vor einem Scherbenhaufen.

In die Zeitspanne (hier: die letzten fast vier Jahrzehnten), in welcher permanente Verschärfungen des Bundeswaffenrechtes vorgenommen wurden, fällt das Nachlassen der Identifizierung weiter Kreise der Bevölkerung mit unserem Staat („Staatsverdrossenheit"). Liegt es auch daran, dass ausweislich des Waffengesetzes unser Staat den Bürgern am wenigsten Vertrauen zu schenken bereit ist, welche sich durch ganz besondere Gesetzestreue auszeichnen?

Wer aber die Mündigkeit der Bürger in Frage stellt, traut der Demokratie nicht. Und ist damit selber ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko für den demokratischen Staat (6).

Verschiebung der Gewichtung

Die Gesetzeslage hat mittlerweile dazu geführt, dass Waffen nicht länger Gegenstände des Alltags sind. Ein erschwerten Zugang zu ihnen hat Schuss-, aber auch anderen Waffen eine Überhöhung und einen Nimbus verschafft, welche® bei Vielen einen rationalen Umgang mit ihnen verhindert – und zwar nicht allein in bestimmten Kreisen der Bevölkerung, sondern auch in Teilen der Presse, der Politik und der Verwaltung.

Gewiss: Der legale Waffenbesitz und der wehrhafte Bürger stellen ein Risiko dar – allerdings ein kalkulierbar kleines für die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit, steht doch der legale Waffenbesitzer bereits per definitionem im Einklang mit den geltenden gesellschaftlichen Regeln. Folgerichtig wird auch seitens der maßgeblichen Behörden durchaus anerkannt, dass der legale Waffenbesitz für unsere Gesellschaft eigentlich kein Problem darstellt (2):

„Hervorzuheben ist, dass bei Raub, Nötigung und räuberischer Erpressung etc. Legalwaffen gar nicht verwendet werden", wie auch „die Verwahrung und der Umgang mit legal erworbenen Schusswaffen kriminalpolitisch nicht relevant" ist. „Der private Waffenbesitz ist aus polizeilicher Sicht, das haben wir schon öfter gehört, überhaupt nicht das Problem" (2).

Man sieht also das Gefahrenpotential im illegalen Bereich, zumal Straftaten mit Waffen im gesamten Bundesgebiet seit 2005 sowieso rückläufig (5) und Legalwaffen an diesen Delikten stets nur marginal beteiligt sind. Damit sind die Handlungserfordernisse bereits erfüllt (5).

Dieses für unsere Gesellschaft hinzunehmende weil kalkulierbare Risiko zu vermindern, nützt in erster Linie daher dem Gewalttäter (vgl. „England" – hier ist nach der großen Enteignungsaktion 1997 die Schusswaffenkriminalität im Jahre 2007 auf das Vierfache von 1997 angestiegen (1)) – und natürlich auch Personen/Gruppierungen, die die Wahrnehmung von Artikel 20 GG: (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist" fürchten könnten ... (3).

In einer von demokratischen Idealen geprägten Gesellschaft stehen Einzelinteressen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander. Im Gleichgewicht der Waagschalen, in denen auf der einen Seite Werte wie „Rechtsstaatlichkeit" oder „persönliche Freiheit" und auf der anderen „innere Sicherheit" ruhen, muss ein Ausgleich zwischen diesen Gewichtungen gefunden werden, um dieses fragile Gleichgewicht nicht zu stören. Die bisherige Überbetonung der „inneren Sicherheit", welcher sich wohl alles Denken und Handeln unterordnen muss, hat die Gewichtungen verschoben und damit die Balance gestört. Es ist illusorisch, durch eine noch stärkere Beachtung dieser Seite die Waage wieder ins Gleichgewicht bringen zu können, zumal der einzige als praktikabel gewähnte Hebel – Gesetzesverschärfungen – bei der Bevölkerungsgruppe ansetzt, die auch bei entsprechenden Tests "in den meisten Persönlichkeitsdimensionen (u. a. Depressivität, Lebenszufriedenheit, Aggressivität, Gewissenhaftigkeit, Werteausrichtung) sogar bessere Werte erzielte" als eine Vergleichsgruppe von nicht-waffenbesitzenden Bürgern (2).

Ist es verwunderlich, dass Schulen regelmäßig Tatorte für Amokläufe sind, wo die Täter, die ja im Grunde ihres Herzens erbärmliche Feiglinge sind, mit Sicherheit wehrlose Opfer und keine wehrhaften Gegner (z.B. Polizeibeamte oder Wachpersonal) finden? Ist es verwunderlich, dass die letzten US-amerikanischen Amokläufe an Colleges stattgefunden haben, die man zuvor als „waffenfreie Zone" gefeiert hatte und wo die Täter daher ebenfalls keinen Widerstand befürchten mussten? Diesen war sicherlich gut bekannt, dass ein paar andere Gewalttaten an Colleges im Keim erstickt wurden, weil die Amokläufer auf bewaffnete und daher zum Widerstand befähigte Kommilitonen bzw. Lehrkräfte gestoßen waren. Offensichtlich sind „waffenfreie Zonen … die gefährlichsten Plätze auf Gottes Erdboden" (8).

Die permanenten Verschärfungen des Waffengesetzes haben faktisch nur erreicht, dass das Vertrauen der Bürger in diesen Staat und seine Organe kontinuierlich schwindet. Und sie haben bewirkt, dass Waffenbesitz – legal wie illegal – etwas Außergewöhnliches darstellt. Vor 1972 gab es in nahezu jedem Haushalt irgendeine Schusswaffe – vom Luftgewehr über die beliebten „Flobert" bis hin zu Weltkriegswaffen. Der Jugendliche wuchs damit auf: Es war nichts Besonderes.

Heute haftet Waffen und ihren Besitzern oftmals etwas Mystisches an – und schafft im Legalbereich Privilegien, die gern verteidigt werden (Warum z.B. bestehen die Polizeigewerkschaften darauf, dass nur Polizeibeamte Waffen führen dürfen?). Im Illegalbereich dagegen sind Schusswaffen mittlerweile zu Statussymbolen geworden.

In Fernsehprogrammzeitschriften findet man heutzutage kaum noch eine einzige Seite, auf der nicht in mindestens einem Bild zur Ankündigung eines Films ein Protagonist mit einer Schusswaffe herumfuchtelt ...

Werden damit nicht die falschen Vorbilder für die junge Generation geschaffen (9)?

Das Fatale ist, dass sich nach einer Enteignung der Bürger und Beseitigung des legalen Waffenbesitzes die Situation noch weiter verschlechtert. Die Beispiele „England", „Australien", „Neuseeland" und sogar „Schweiz" zeigen, wie förderlich sich doch eine Verschärfung des Waffengesetzes auf die Kriminalität auswirkt (1). Es ist nämlich eine (lebens-)gefährliche Variante eines falsch verstandenen Pazifismus, die Verteidigung zu stigmatisieren und dadurch zu lähmen, ohne die Aggression beseitigen zu können. Man bekämpft nicht die Aktion dadurch, dass man die Reaktion verhindert.

Man muss es als geradezu absurd bezeichnen, dass parallel zu den regelmäßigen Verschärfungen im Waffenrecht ebenso regelmäßig beklagt wird, dass es heutzutage immer weniger Fälle von „Zivilcourage" gäbe. Es zeigt eine Inkongruenz im Denken, wenn dieses Bedauern von Stellen geäußert wird, die ansonsten nicht müde werden, einerseits den wehrlosen Bürger zu fordern, auf der anderen Seite aber Notwehr und Nothilfe (§ 32 StGB und § 227 BGB) als Angriff auf das „Gewaltmonopol des Staates" werten .

Vom „Weißen Ring" war vor geraumer Zeit zu erfahren, dass alljährlich rund 450 Bundesbürger durch kriminelle Handlungen ums Leben kommen (und etwa 40.000 verletzt werden); man stelle sich einmal vor, unser Staat hätte nur einem Drittel davon die Möglicheit geboten, sich zur Wehr zu setzen …

Eine äußerst interessante Beobachtung macht man in den US-amerikanischen Staaten, die der reichlich vorhandenen Datenlage Rechnung getragen und in Umsetzung der hieraus gezogenen Erkenntnissen ihre Waffengesetze liberalisiert haben: Die Folge war ein z. T. dramatischer Rückgang von Gewaltdelikten (um bis zu 84 %) und von Todesopfern ( um bis zu 90 %) (7).

Und auch das bereits angesprochene „Modell England" – neben anderen Beispielen der jüngeren Geschichte – hat mehr als deutlich belegt, dass die Formel „weniger legale Schusswaffen = weniger Gewalt in der Gesellschaft" nicht aufgeht.

Es ist zwar absolut zutreffend, dass eine Einziehung und nachfolgende Vernichtung sämtlicher Waffen aus privaten Sammlungen bzw. Museen zur Folge hat, dass mit diesen kein Schaden mehr angerichtet werden kann. Gleichzeitig aber entäußert sich die Gesellschaft durch eine derartige Tat eines wichtigen Teiles des kulturellen Erbes und betreibt damit vorsätzlich den Verlust des historischen Gedächtnisses, welches existenziell auf die gegenständliche Verankerung angewiesen ist. Das Wort „Nicht Waffen töten, sondern der Mensch, welcher dahinter steht" ist erfreulicherweise nun doch schon breiter bekannt; Wirkung hat es aber bisher nicht gezeigt, da alle angedachten Lösungswege in Form von Aufbewahrungs- und Blockierungsvorschriften, Kaliber- oder Mengenbegrenzungen, etc. bis hin zur Enteignung und Vernichtung immer nur an der „Waffe" ansetz(t)en, die für sich genommen doch wertneutral ist.

Dem oft gehörten Wort „Und wenn nur ein einziger Todesfall durch restriktive gesetzgeberische Maßnahmen verhindert wird, dann sind diese gerechtfertigt" muss daher unbedingt der Nachsatz angehängt werden, „Selbst, wenn diese Maßnahmen in der Folge eine Vielzahl von Menschenleben kosten werden".

Wer aber will sich dann noch ruhigen Gewissens mit dieser Forderung identifizieren …?

Wenn ein Wirtschaftsbetrieb über mehr als 35 Jahre regelmäßig feststellen muss, dass seine Unternehmensphilosophie nicht greift, dann wird eine Analyse fällig, welche den Denkfehler aufzeigen sollte. Wenn nicht, dann geht das Wirtschaftsunternehmen zugrunde.

Es ist daher so langsam an der Zeit, einmal eine emotionsfreie Bestandsaufnahme zu machen, um die Frage zu beantworten, ob man tatsächlich angesichts steigender Gewalt weiterhin den offensichtlich ineffektiven Weg des Abbaus bürgerlicher Rechte beschreiten darf. Das Waffenrecht nämlich ist seit 1972 von einem Instrument zur Kontrolle des legalen Waffenbesitzes zu einem Konstrukt lediglich zur Verhinderung des Legalbesitzes von Schusswaffen – und damit des Abbaus bürgerlicher Rechte –degeneriert.

Privilegien oder Grundrechte ?

In verschiedenen Behörden in der BRD hat sich mittlerweile vielfach ein geradezu missionarisches Sendungsbewusstsein ausgebildet, verwaltet man doch einen Bereich des täglichen Lebens, von dem man den Eindruck gewinnen mag, dass das Wohl und Wehe des Abendlandes davon abhängt. So überschlagen sich Angehörige der Verwaltungen resp. der gesetzformulierenden Gremien, neue Erschwernisse zu ersinnen, die offensichtlich allesamt dem Schutz der durch den gesetzestreuen Bürger ach so gefährdeten „inneren Sicherheit" dienlich sind. Der Bürger gewinnt ständig mehr den Eindruck, dass ihm mit der Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis eine Gnade erteilt wird,und nicht, dass lediglich gesetzlich verankerte Rechte umgesetzt werden.

Diese Überbewertung der Möglichkeiten, welche ein Ordnungsrecht überhaupt bieten, hat in den Behörden zu einer gefährlichen Überschätzung der eigenen Wichtigkeit geführt. Beides wiederum ist unselige Folge einer Politik, welcher offensichtlich nichts anderes einfällt, als über Verschärfungen im Waffenrecht zu versuchen, sozialpolitische Probleme zu lösen (3).

In einem freiheitlichen System sollten nur diese beiden Fragen – und zwar genau in dieser Reihenfolge – gestellt und beantwortet werden:

1) Welche Freiheiten kann der Bürger maximal in Anspruch nehmen ohne die Freiheiten andere einzuschränken und

2) wie wird sichergestellt, dass diese Freiheiten nicht missbraucht werden?

Es versteht sich von selber, dass sich der betroffene Bürger gerade bei der Umsetzung von 2) in die Pflicht genommen sieht, solange er sich noch mit dem Staatswesen identifizieren kann.

Gegenwärtig gewinnt man jedoch den Eindruck, dass die Maxime eher lautet:

1) Welche Minimalrechte muss man dem Bürger notgedrungen gewähren und

2) an welche Auflagen kann das noch geknüpft werden?

Es darf dabei keinesfalls übersehen werden, dass es sich für die Behörden nicht einfach darstellt, Regelungen für das Zusammenleben der Menschen zu finden, welche einerseits möglichst effizient und andererseits möglichst wenig eingreifend sind. Um den Hebel aber nicht weiterhin am falschen Ende anzusetzen, ist die Einbindung der betroffenen Verbände in Gesetzesvorhaben unabdingbar, und zwar in Form partnerschaftlicher Bemühungen um die Lösung von drängenden Problemen, die uns alle betreffen, und nicht in der bisher praktizierten Form, in der fertig gestellte Gesetzesentwürfe präsentiert werden und die Betroffenen lediglich die Perspektive haben, eventuell an Marginalien noch etwas verändern zu können. Mit der bisherigen Praxis des obrigkeitsstaatlichen Verfügens leistet man dem demokratischen Staat wahrlich keinen Dienst.

Die allermeisten Passagen des Waffenrechtes betreffen interessanterweise die eigentliche Zielgruppe – Störer der öffentlichen Ordnung – überhaupt nicht, ganz abgesehen davon, dass sich diese Gruppe sowieso nicht um Gesetze schert. Muss das nicht alarmieren?

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gilt – so hat es manchmal den Anschein – für alles und für jeden, nicht aber für legale Waffenbesitzer, obwohl diese ausweislich der einschlägigen Kriminalstatistiken seit Jahrzehnten zu den besonders gesetzestreuen Bürgern gehören – und damit wichtige Stützen unserer Gesellschaft sind (5).

Wie weit das Waffenrecht und die Intension des Grundgesetzes manchmal auseinandergehen, findet man z. B. bei:

Artikel 2, Absatz 1: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Welche Rechte anderer werden dadurch verletzt, dass ein Sportschütze Sportwaffen besitzt, gegen welche verfassungsmäßige Ordnung verstößt der Sammler, der Kulturgut bewahrt, welches Sittengesetz wird durch den Jäger ausgehebelt? Die vielen Regelungen wie z. B. Kaliber- oder Mengenbegrenzungen haben keine Steuerungs-, sondern nur Verhinderungsfunktion.

Artikel 5, Absatz 3: Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Der Sammler von Waffen und Munition stellt Gegenstände für Wissenschaft und Forschung parat – die meisten waffenrechtlichen Bestimmungen sind jedoch der Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre diametral entgegengesetzt.

Artikel 13

Absatz 1: Die Wohnung ist unverletzlich.

Absatz 2: Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

Das gilt nicht aber für Bürger, die offensichtlich deswegen unter Generalverdacht stehen, weil sie legal und damit mit Wissen der Behörden Waffen besitzen, denn diese können jederzeit von der Behörde aufgesucht werden, während es bei Tatverdächtigen eines richterlichen Beschlusses bedarf.

Artikel 14, Absatz 1: Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.

Erben von Schusswaffen dagegen werden zur Abgabe oder gar zur Vernichtung ihres Erbteiles gedrängt oder es werden ihnen „Abschließvorrichtungen" vorgeschrieben, die - außer dass sie Kosten aufwerfen – keinen Nutzwert besitzen.

Müsste man nicht sogleich fürchten, dass nach derselben Logik Artikel 5 des Grundgesetzes (hier: Absatz 1 Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.) aufgehoben wird, nur weil von allzu vielen allzu oft allzu sorglos mit der Freiheit umgegangen wird, welcher jener Artikel bietet?

Die Frage nach Motiven

Oftmals wird die Motivationslage legaler Waffenbesitzer hinterfragt – und meist mit negativen Werten belegt („Mordgelüste", „Fetischismus", „Machtgefühle"). Welch ein Menschenbild besitzt derjenige, wenn er seriöse Mitbürger so abqualifiziert? Es muss daher auch erlaubt sein, einmal mögliche Motive der Befürworter schärferer Gesetze auf den Prüfstand zu stellen; schließlich kann man auch eine solche Argumentationskette diskutieren:

Polizeigewerkschaften – weniger legaler Waffenbesitz = mehr Straftaten = bessere Argumente bei der Stellenplanung?

Politische Parteien – weniger legaler Waffenbesitz = mehr Staatsverdrossenheit = Schwächung des bürgerlichen Lagers?

Presse - weniger legaler Waffenbesitz = mehr Straftaten = mehr Schlagzeilen?

Opferorganisationen - weniger legaler Waffenbesitz = mehr Straftaten = mehr Opfer = mehr Betätigungsfelder?

Nun darf man nicht sogleich jedem, der für eine Verschärfung des Waffengesetzes plädiert, unterstellen, er möchte die Ordnung in unserem Lande aushebeln. Einige der sich selber als „Waffengegner" bezeichnenden Personen gehören sicherlich zu denen, die selbstkritisch genug sind, ihre eigene psychophysische Eignung zum Waffenbesitz in Frage zu stellen. Fatal ist nur, dass sie diese – sicherlich durchaus korrekte – Selbsteinschätzung offensichtlich direkt und unmittelbar auch auf ihre Mitmenschen übertragen („Wenn ich dazu schon nicht die Reife besitze, wie dann die anderen?"). Die Bezeichnung als „Waffengegner" belegt, dass die sich so selber Beschreibenden eine Personifizierung der „Waffe" vornehmen, um auf diesem Wege die Klarstellung zu vermeiden, dass sie im Grunde ihres Herzens Gegner der (legalen) Waffenbesitzer sind. Ein „Gegner" kann nämlich nie eine Sache sein, sondern ist immer nur ein anderer Mensch.

Bemerkenswert ist zudem, dass Befürworter schärferer Waffengesetze regelmäßig aus einem politischen Lager kommen, von dem zumindest einige Vertreter freiheitlich-demokratischen Prinzipien bzw. bürgerlichen Wertvorstellungen distanziert-amüsiert bis ablehnend gegenüberstehen.

Und schlussendlich darf man auch einen Neidfaktor nicht unterschätzen (wie ihn bereits Kurt Tucholsky in seinem Aufsatz „Der Mensch" beschreibt: „ Der Mensch gönnt seiner Gattung nichts, daher hat er die Gesetze erfunden. Er darf nicht, also sollen die anderen auch nicht."), der seine Triebkraft aus der Privilegierung der legal waffenbesitzenden Bundesbürger zieht: „Warum darf die/der, wenn ich das nicht darf?"

Unsere Gesellschaft akzeptiert als Preis für eine nahezu grenzenlose Mobilität (mit fallender Tendenz) ca. 4.000 Verkehrsopfer pro Jahr. Wie viele Todesopfer kann die demokratische Gesellschaft tolerieren, die dadurch zustande kommen, dass Regeln nicht beachtet werden, die das Zusammenleben möglich machen – vor allem, wenn daraufhin ergriffenen Maßnahmen ein noch Mehr an Todesopfern fordern?

Fazit

Die Geschichte zeigt, dass jegliche Entwaffnung eines Volkes resp. einer Gesellschaft mit einem Anstieg an Gewaltkriminalität einherging – vice versa (4). Muss man einen solchen Menschenversuch wirklich wiederholen, um diesen Automatismus ein weiteres Mal bestätigt zu bekommen?

Die Rufer nach neuerlichen Verschärfungen sollten daher besser einmal innehalten und überlegen, was eigentlich die Gesetzesorgien der vergangenen fast 4 Jahrzehnte gebracht resp. welchen Schaden sie angerichtet haben, statt inspirationslos nach weiteren Restriktionen zu verlangen.

Zudem stünde es gerade in Zeiten wie nach „Winnenden" unserem Staat und seinen Organen besser zu Gesicht, sich schützend vor seine Stützen – hier die legalen Waffenbesitzer – zu stellen und sie gegenüber den Anfeindungen jener nicht allein zu lassen, die eine Vielzahl seriöser Bürger für die Wahnsinnstat eines Einzelnen büßen lassen wollen.

(1) Crime Report 2009 des Britischen Innenministeriums

(2) Prof. Dr. Dietmar Heubrock, Institut für Rechtspsychologie der Universität Bremen, Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften 02.02.2008

(3) Gregor Wensing, Droht ein Bürgerkrieg in Deutschland? CALIBER 3/1993

(4) Dr.jur.Hans Scholzen und Gregor Wensing, Wem nutzt eigentlich ein restriktives Waffengesetz? Deutsches Waffen-Journal 3/ 1997 und Magazin für die Polizei 1-2/97 und 3/97

(5) Jahresstatistik Waffen/Sprengstoff

(6) Gregor A. Rutz, Bürgerrechte und Bürgerpflichten, in: Schweizerzeit 14.12.2007

(7) Prof. John R. Lott jun., University of Chicago, School of Laws, "More Guns, Less Crime", 2000

(8) Dr. Georg Zakrajsek, Amokläufe immer wieder, in IWÖ-Nachrichten 1/09

(9) Deutsches Forum für Kriminalprävention und Bundeszentrale für politische Bildung in Zusammenarbeit mit der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, Sackgasse Gewalt?

Erziehung, Prävention, Auswege, Lösungen, 4. Juli 2002, „Haus der Geschichte", Bonn

Gregor Wensing

Kulturreferent des *Kuratorium zur Förderung historischer Waffensammlungen e.V.*

Chorbuschstraße 41

50765 Köln

Auf Bitten des Verfasser eingestellt durch micgrote

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Sehr geehrte Damen und Herren,

im Nachgang zu meinem "Memorandum" sende ich Ihnen die Einschätzung eines Sammlerfreundes und Historikerkollegen - vielleicht regen seine Aussagen zum weiteren Nachdenken an.

Mit freundlichen Grüßen

Gregor Wensing

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Lieber Gregor,

Deine Stellungnahme und Überlegungen habe ich mit großem Interesse und Zustimmung gelesen.

Trotzdem überkommt mich ein Gefühl von Traurig- und Hilflosigkeit, dessen ich mich kaum erwehren kann, so sicher bin ich mir, dass wir dem Zeitgeist zuwider leben und handeln. Denn der Zeitgeist heißt Gier und Geiz, Missgunst und Intoleranz, Egoismus und Nihilismus. In Anbetracht dessen fällt es mir auch nicht leicht, ein paar Zeilen zu schreiben. Was soll man/ich auch aufgreifen: Die populistische Annahme des Themas zu Zeiten des Buhlens um die Wählergunst, die Profilierungssucht einzelner Politiker mit Zielsetzung der Festigung der eigenen Macht, statt der ausgewogenen Gegenüberstellung berechtigter Interessen der Bürger, Verdrehung der Tatsachen zur Umsetzung der eigenen Zielsetzung oder Ablenkung von wirklicher Bedrohung der "inneren Sicherheit"- sprich in diesem Fall Verrohung der Gesellschaft durch Verlust der abendländisch christlichen Kultur zu Gunsten von – ja von was: Verdummung, Bevormundung und Gleichgültigkeit? Diese negativen Gedanken lassen sich unendlich fortführen und mit Beispielen belegen.

37 Jahre restriktiver Gesetzgebung hinsichtlich des Waffenrechts - ich suche krampfhaft nach nur einem Bespiel, das mir Hoffnung machen könnte, dass sich etwas zum Positiven wenden könnte. 1902 hat unser letzter Kaiser die Schaumweinsteuer eingeführt, um seine unüberlegte Expansions- politik finanzieren zu können. Auch wenn Konteradmiral Ludwig von Reuter des Kaisers Liebling 1919 in Scapa Flow auf Grund gesetzt hat, so ist uns doch zumindest die Sektsteuer erhalten geblieben - was für eine nette Ironie der Geschichte.

Unsere Interessenvertretungen sind sich selbst nicht grün und in vorauseilendem Gehorsam wird der Speichel aufgesogen, dass es manchmal saugende und schmatzende Geräusche gibt, die mich eher an den Schweinestall, als an Interessenvertretung erinnern. Auch hier Profilierungssucht und persönliche Vorteilnahme einzelner schwarzer Schafe oder wie in meinem Fall als Handwerker: Zwangsmitgliedschaft in der Handwerkskammer und alles zum festen Mitgliedssatz - Tradition mal negativ.

Innere Sicherheit lässt sich nur herbeiführen, wenn wir wieder anfangen unsere Kinder zu erziehen, Ihnen Werte vermitteln, sie nicht allein lassen. Innere Sicherheit stellt sich wieder ein, wenn wir eine soziale Ausgewogenheit hergestellt haben, statt Ausgrenzung. Ich bin bestimmt kein sozialistischer Umverteiler, werde nie behaupten, dass das Leben gerecht ist, aber wenn ich Leute wie Zumwinkel und Co sehe, könnte ich K****n. Rentenansprüche von 120000 Euro monatlich nehmen mir den Atem und lassen Zweifel am System aufkommen.

Am Ende der Seite muss ich eingestehen, dass ich den Kopf schon im Sand habe und ihn nicht mehr hineinstecken muss. Ich habe am Anfang deiner Mail gesehen, dass Du deine Gedanken den Zeitungen hast zukommen lassen. Ich hoffe inständig, dass der eine oder andere Redakteur unvoreingenommen und Manns genug sein wird, sich des Themas in unserem Interesse anzunehmen.

Es grüßt herzlichst

Klaus

Auch dies wieder eingestellt durch micgrote

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