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Sueddeutsche.de vom 16.04.09: Entwaffnend unbürokratisch


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Entwaffnend unbürokratisch

Bürger möchten freiwillig Gewehre und Pistolen abgeben - in Hildesheim wird es ihnen besonders leicht gemacht

Hamburg - Mit so viel Zuspruch hatten die Beamten der Polizeiinspektion Hildesheim nicht gerechnet. "Wir haben sogar einen Ersatzschrank aufstellen müssen", sagt Sprecherin Juliane Kahr. Seit Polizei, Staatsanwaltschaft und der Landkreis Hildesheim Mitte März der Bevölkerung angeboten haben, ganz unbürokratisch zu Hause gelagerte Waffen abzugeben, ist ein ansehnliches Arsenal zusammengekommen. Etwa 80 Schusswaffen fanden seitdem den Weg in die Panzerschränke der Polizei, zwanzig Mal mehr als sonst in solch einem Zeitraum. Angesichts von rund 9000 registrierten Waffen im Landkreis Hildesheim ist das zwar wenig - andererseits, sagt Juliane Kahr, "stellt jede Waffe eine potentielle Gefahr dar - und jede Waffe, die nicht mehr im Umlauf ist, verringert diese Gefahr."

Der Amoklauf von Winnenden hat offenbar bundesweit die Bereitschaft der Bevölkerung erhöht, sich zu entwaffnen. In etlichen Haushalten lagern oft unbeachtet Gewehre oder Pistolen: die Jagdflinte, die der leidenschaftliche Jäger seiner Frau hinterlassen hat, das Kleinkalibergewehr, das der ehemalige Sportschütze besitzt, obwohl er sein Hobby längst aufgegeben hat; die Wehrmachtspistole als sorgsam gehütetes Erbstück. Bei der Polizei melden sich nun häufiger als sonst Menschen, denen diese Waffen im Haus Angst machen - was, wenn der Enkel zu Besuch und beim Anblick von Opas altem Jagdgewehr auf dumme Gedanken kommt?

2003, ein Jahr nach dem Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium, hatte es eine bundesweite befristete Amnestie zur Abgabe illegaler Waffen gegeben. Dazu war das Waffengesetz geändert worden. Diese Maßnahme solle jetzt wiederholt werden, schlug Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll nach dem Amoklauf von Winnenden vor. Dort hatte der Täter eine Sportpistole seines Vaters benutzt, um 15 Menschen und sich selbst zu töten. Goll regte per Brief an seinen Kollegen im Innenministerium, Heribert Rech, eine Bundesratsinitiative an, um das Waffenrecht für eine erneute Amnestie zu ändern. Bisher sei allerdings noch nichts geschehen, hieß es aus dem Ministerium.

Kleinere Lösungen gehen schneller. Auch in Hildesheim war eine Bluttat der Auslöser für das bundesweit einzigartige Modell, der Bevölkerung die Rückgabe von Waffen zu erleichtern. Ein 37-jähriger Mann hatte seine Freundin, seinen Sohn und sich selbst erschossen. Der Täter hatte daheim drei Waffen gehortet.

Normalerweise ist es nicht so einfach, eine Waffe zurückzugeben. Schon der Transport zur Polizei kann strafbar sein für jemanden, der nicht über eine Waffenbesitzkarte verfügt - Erben zum Beispiel. In Hildesheim bleibt dieses Delikt des illegalen Waffenbesitzes derzeit straffrei, falls der Besitzer nicht einschlägig vorbestraft ist. Die zwangsläufig notwendigen Verfahren stellt die Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit ein. Die Polizei holt die Waffen auf Wunsch zu Hause ab. Sie muss die Herkunft jeder Waffe aber genau prüfen, um auszuschließen, bei Verbrechen benutzte Tatwaffen im Hochofen einschmelzen zu lassen.

Die Hildesheimer Initiative, die nun auch in anderen Landkreisen vorgestellt wird, findet sogar überregional Beachtung. "Das wäre auch bei uns denkbar", sagt etwa Rainer Gausepohl von der Innenbehörde in Bremen. Dort werden derzeit fünfmal mehr Waffen abgegeben als sonst. 21000 legal registrierte Schusswaffen gibt es in Bremen. Besitzer von illegalen Waffen aber meiden den Weg zum Stadtamt oder zur Polizei, weil eine Anzeige unausweichlich ist. Die Justizbehörde denkt nun darüber nach, wie sie Milde walten lassen könnte.

Wirksamstes Mittel zur Entwaffnung ist aber offenbar ein schärferes Waffenrecht. Derzeit diskutieren die Innenminister der Länder mehrere Vorschläge. In Bremen hat der legale Waffenbestand seit der letzten Verschärfung um fast 30 Prozent abgenommen.

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