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Tokko

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Beiträge von Tokko

  1. Hier mal ein interessantes Scenario.

    Geschrieben von Julian Reichelt..

    TAG 1.

    Als in Deutschland die Lichter ausgehen, ist es 13 Uhr 47. Es ist der 29. Dezember 2012 und noch hell. Ein strahlender Dienstag im ganzen Land, knapp über 0 Grad in Hamburg, minus 7 sind es am Fuße der Alpen.

    Die Sonne scheint, als die Lichter ausgehen, weshalb niemand nervös wird.

    Im Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin erlischt die milde Beleuchtung, die leise Beschallung mit klassischer Musik verstummt. In den langen Schlangen, die sich nun bilden, weil die Kassen nicht mehr funktionieren, plaudern die Menschen, die noch Bücher und CDs von Heiligabend umtauschen wollen.

    „Ach, Stromausfall. Na ja, wenn das noch ein bisschen dauert, wird es im September wohl viele Babys geben.“ Und eine alte Frau scherzt: „Ham ja alle noch jenug Kerzen am Baum. Dit sollte ja reichen für die Nacht.“

    In dem Moment, da die Frau das sagt, springen im Klinikum Kassel mehrere Notstromgeneratoren an. Die Ärzte und Patienten bemerken ein leises Brummen. Im Skigebiet Zugspitze bleibt der Sessellift „Sonnenkar“ mit einem Ruck stehen.

    In dem Moment, da die Frau das sagt, werden im ganzen Land die Ampeln schwarz. In München, Westendstraße Ecke Tübinger, wird ein Fahrradkurier von einem blauen Opel erfasst und gegen einen Laternenmast geschleudert. Der Fahrer des Opels war weitergefahren, weil die Ampel ausfiel, als sie gerade auf Rot sprang. Der Radfahrer stirbt im nahen Uniklinikum Großhadern. Auch dort ist das Summen von Generatoren zu hören. An Kreuzungen im ganzen Land gibt es in diesem Moment rund 3400 Verkehrsunfälle – zum Glück ohne weitere Schwerverletzte oder Tote.

    In dem Moment, da die Frau an der Kasse von Dussmann spricht, breitet sich eine eigenartige Stille in ganz Deutschland aus. Staubsauger schweigen, Telefonate werden unterbrochen, Fernseher verstummen, die Lautsprecherdurchsagen auf den schummerigen Bahnhöfen brechen ab.

    Im Bundeskanzleramt ruft in diesem Moment ein Mann an, der sich als Computerexperte vorstellt: Jentsch, mit „t“ wie Theodor vor dem „sch“. Er arbeite im Rechnerzentrum des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld. Er habe eine brisante Entdeckung gemacht, sagt er, müsse die Kanzlerin oder einen ihrer engsten Mitarbeiter sprechen.

    Er rufe von seinem Handy aus an. „Jentsch, mit Theodor, es eilt – wirklich!“

    Die Frau in der Telefonzentrale legt auf. „Was war das denn?“, fragt ihre Kollegin. „Ach, wieder so ein Irrer, der die Kanzlerin sprechen wollte.“

    Die beiden kichern und wundern sich nicht, dass es auch in ihrem Gebäude summt und vibriert. Die Generatoren im Keller laufen auf Hochtouren.

    „Überall in Deutschland?“, fragt der silberhaarige Chefredakteur von RTL-„aktuell“ zwei Stunden später, um kurz nach vier, in der Konferenz.

    „Ja, alle unsere Büros sind unterwegs. München sagt, dass auch Österreich keinen Strom mehr hat“, antwortet der Nachrichtenredakteur.

    „Was sagen die Behörden?“, fragt der Chefredakteur.

    „Wir haben bisher kaum jemanden erreicht. Sind wohl alle noch im Weihnachtsurlaub. Einen bundesweiten Krisenstab gibt es auch noch nicht.“

    „Können unsere Außenbüros noch überspielen?“

    „Ja, die haben alle Notstromaggregate.“

    „Gut“, sagt der Chefredakteur. „Wir machen Sondersendung. Kein Sport. Nur Stromausfall.“

    „Kann doch gar keiner gucken“, sagt ein Praktikant in der Runde und lacht.

    „Sie schnappen sich mal lieber eine Kamera und gehen auf die Straße“, antwortet der Chefredakteur.

    Zu der Zeit, als der Praktikant auf die dunkle Straße in Köln-Junkersdorf tritt, steht der Marktleiter der Edeka-Filiale in der Waitzstraße in Hamburg-Othmarschen vor dem Kühlregal. Die Kühlung läuft seit fast drei Stunden nicht mehr. Der Marktleiter klebt ein großes Pappschild an das Regal. „Joghurt, Butter, Milch, Quark! Alles 20 Cent!“

    Volker Jentsch, Informatiker im Rechnerzentrum des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld, ruft jetzt seine Frau auf dem Handy an. „Nimm die Kinder und fahr zu meinen Eltern nach Reichenbuch. Wir haben hier ein Aufgabe.“

    „Hat es einen Unfall gegeben?“, fragt Karin Jentsch ihren Mann.

    „Nein, nein, kein Unfall. Aber es scheint einen Computervirus in unserem System zu geben. Und nicht nur in unserem. Der Strom ist in ganz Deutschland weg. Und der wird so bald auch nicht wieder kommen.“

    Wenig später sitzt Karin Jentsch mit ihren beiden Töchtern, drei und fünf Jahre alt, im Auto, einem silbergrauen Mercedes 200TD. Als sie den Wagen anlässt, sieht sie, dass der Tank fast leer ist. Sie fragt sich, ob die Zapfsäulen an der Tankstelle auch mit Strom funktionieren.

    Zu diesem Zeitpunkt betritt Regierungssprecher Ulf Wiebold das Büro der Bundeskanzlerin, ohne vorher anzuklopfen. Im Skigebiet Zugspitze werden in diesem Moment, 18 Uhr 44, die letzten Menschen mit Leitern aus dem Sessellift befreit.

    „Wir haben ein ernsthaftes Aufgabe“, sagt der Regierungssprecher. Im Büro der Kanzlerin läuft der Fernseher lautlos. Beide sehen auf den Flachbildschirm. RTL zeigt eine Luftaufnahme der dunklen Hauptstadt. „LIVE“ steht da. Und: „STROMAUSFALL“. In Berlin, im ganzen Land, beginnt nun die Nacht.

    TAG 2, 30. Dezember 2012

    Morgens um kurz vor sieben gibt es noch immer keinen Strom. Der Deutschlandfunk sendet im ganzen Land auf einer Notfrequenz. 100.00 MHz. Polizeiwagen in allen deutschen Städten verkünden die Frequenz über Lautsprecherwagen.

    In Duisburg-Marxloh hört ein Rentner die Durchsage der Polizei durch die dünnen Fensterscheiben seiner kalten Wohnung: „Einen Satz Batterien für Radios erhalten Sie bei Ihrem zuständigen Einwohnermeldeamt. Die Polizei bittet Sie, die Radios immer zur vollen Stunde einzuschalten. Bitte informieren Sie Mitbürgerinnen und Mitbürger, die kein eigenes Radio besitzen. Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei ...“

    Karin Jentsch, die Frau des Informatikers vom Kernkraftwerk Grafenrheinfeld, hat ihren Mercedes am Rand der Bundesstraße 27 geparkt. Der Tank ist leer.

    Ihre beiden Töchter schlafen noch auf dem Rücksitz in Daunenjacken. Sie wartet auf einen Anruf ihres Mannes. Ihr Handy zeigt noch einen Balken Akku. Früh am Morgen hat er ihr eine SMS geschrieben. „Schalt das Radio auf 100.00 und mach Dir keine Sorgen. Ich komme, so schnell ich kann.“

    Karin Jentsch dreht das Radio lauter: „Es ist sieben Uhr. Hier ist der Deutschlandfunk mit einer Sondersendung. Wie das Kanzleramt bekannt gab, ist der landesweite Stromausfall Folge eines Computervirus. Ein Krisenstab ist eingerichtet und arbeitet an der Behebung des Problems. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die flächendeckende Stromversorgung bis zum Nachmittag wieder hergestellt sein wird. Die Regierung bittet alle Bürgerinnen und Bürger, bis dahin nur in dringenden Fällen Häuser und Wohnungen zu verlassen und besonders Kinder sowie ältere Menschen mit Decken zu versorgen. Die nächsten Nachrichten auf der Notfrequenz 100.00 senden wir um acht Uhr.“

    Zu diesem Zeitpunkt bemerkt ein Vorarbeiter im Hamburger Hafen, dass Diebe in der Nacht einen Container aufgebrochen und mehrere Kisten Profi-Feuerwerk gestohlen haben. Die Alarmanlage des Containerlagers war ausgefallen.

    In der Leipziger Feuerwehrwache Matthissonstraße schreibt ein Hauptfeuerwehrmann (HFM) den Bericht der Nacht: „... kam gegen 1 Uhr morgens Frau Helga Behrendt bei einem Wohnungsbrand in einem Mehrfamilienhaus ums Leben. Brandursache war wahrscheinlich ein umgestürzter Kerzenständer in der Nachbarwohnung.“

    Zu diesem Zeitpunkt spürt die Rentnerin Christa F., 69, zwei Herzoperationen, vier Bypässe, in ihrer Zweizimmerwohnung in Gera-Leumitz einen stechenden Schmerz in der Brust. Sie drückt auf den Knopf des Notfallmelders, den die Malteser ihr vor drei Monaten angeschlossen haben. Sie überlegt, ob das Signal irgendwo ankommt, obwohl ihr Fernseher seit gestern Mittag schwarz ist und das Licht nicht funktioniert. Eine Kerze flackert auf dem Wohnzimmertisch mit den bemalten Kacheln.

    Ihr Notruf kommt nirgendwo an.

    Schlagzeile an diesem Tag, gemacht in einer Notfall-Redaktion, gedruckt mit Notstrom: „Deutschland dunkel!“

    Meldungen aus der vergangenen Nacht, die im Berliner Krisenstab eintreffen: Auffällig viele Einbruchsdelikte in allen deutschen Großstädten. Die Pumpen in den deutschen Wasserwerken haben noch Notstrom für zwölf Stunden. Leere Supermärkte besonders in grenznahen Gebieten. Auch in Polen, Tschechien und Österreich ist der Strom ausgefallen.

    Bundespolizei rät zu vorübergehender Schließung der Grenzstationen. Die Flughäfen müssen den Betrieb einstellen, weil die Generatorenleistung nach zehn Stunden nur noch für Tower und Rollbahnbeleuchtung reicht, nicht aber für Strom in den Terminals.

    Zuletzt schließt der Flughafen Frankfurt. Lufthansa-Flug LH 0419 aus Washington D.C. wird nach Paris-Charles de Gaulle umgeleitet.

    Die Deutsche Bahn streicht alle Zugverbindungen, weil Weichen und Signale in ganz Deutschland nicht mehr gestellt werden können.

    Die Justizvollzugsanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel ruft alle Vollzugsbeamten ab 12 Uhr mittags zum Dienst, weil die elektronischen Sicherheitssysteme ausgefallen sind. Telekom und Vodafone teilen dem Krisenstab mit, dass das Notstromsystem ihrer Sendemasten gegen circa 14 Uhr ausfallen wird.

    Vor Bankfilialen in ganz Deutschland warten Menschen darauf, wieder auf ihre Konten zugreifen und Geld abheben zu können. Geldautomaten funktionieren nur noch im Frankfurter Bankenviertel, wo viele größere Filialen mit Notstromgeneratoren ausgerüstet sind.

    Im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld schaltet Volker Jentsch sein Radio ein: „Es ist zehn Uhr. Hier ist der Deutschlandfunk mit einer Sondersendung. Die Bundesregierung bittet alle Bürgerinnen und Bürger, dringende Anrufe vor 14 Uhr zu tätigen. Sollte die Stromversorgung bis dahin nicht wiederhergestellt sein, können die Mobilfunkanbieter für die Funktionstüchtigkeit ihrer Netze nicht mehr garantieren ...“

    Wenig später brechen alle deutschen Handynetze wegen Überlastung zusammen. Bis 14 Uhr ist es nahezu unmöglich, zu telefonieren oder SMS zu schicken. Danach werden die Sendemasten abgeschaltet. ADAC und Polizei melden dem Krisenstab, dass sie keine Hubschrauberflüge mehr durchführen, weil eine Luftraumüberwachung nicht mehr möglich ist.

    Im Süden des Landes schneien die Autobahnen zu, weil sie kaum noch befahren werden.

    Kurz nach 15 Uhr betritt ein Arzt den Warteraum des Dialysezentrums Mannheim-Mitte. 13 Patienten sitzen da. „Es tut mir leid“, sagt der Arzt. „In den Nachrichten haben sie gesagt, dass es doch noch dauern wird mit dem Strom. Wir können Sie nicht behandeln. Ich habe veranlasst, dass Sie alle ins Klinikum Mannheim gebracht werden. Da läuft zumindest noch der Generator.“

    Eine halbe Stunde später sieht der Arzt einer Kolonne von Krankenwagen nach. Die Blaulichter tanzen in der schummerigen Straße, bevor sie hinter einer Ecke verschwinden. Ein paar Stunden haben sie noch, denkt der Arzt.

    Zu diesem Zeitpunkt hält der Schichtleiter einer Berliner Großbäckerei vor dem Kanzleramt. Er steigt aus, meldet sich bei der Wache. Wenig später erscheint eine Frau aus dem Krisenstab. Sie trägt ein graues Kostüm. In ihrer Hand hält sie ein Funkgerät. „Ich wollte Ihnen sagen, dass wir die Stadt nicht mehr beliefern können. In ein paar Stunden gibt’s kein Brot mehr.“ Er glaube, dass das überall in Deutschland ähnlich sei.

    Am späten Nachmittag verprügeln sieben aufgebrachte Männer den Leiter eines Baumarkts in Kiel, weil Campingkocher und eine Gaspatrone plötzlich 200 Euro kosten sollen. Eine Scheibe wird eingeworfen. Die übrigen Mitarbeiter flüchten. Niemand kann die Polizei rufen.

    TAG 3, 31. Dezember 2012

    Morgens um halb vier beschließt der Krisenstab, die Bundeswehr einzusetzen. Es hat eine lange Diskussion gegeben, aber am Ende hat sich der Innenminister durchgesetzt. Diese Krise sei „schlimmer als Oder- und Elbe-Flut zusammen“.

    Seit fast vierzig Stunden ist der Strom in Deutschland, Polen, Tschechien und Österreich ausgefallen. Über Kurzwelle berichtet der polnische Krisenstab von bewaffneten Banden, die seit den Abendstunden durch Krakau und Szczecin (Stettin) ziehen.

    Am Abend ist die Wasserversorgung in ganz Deutschland zusammengebrochen.

    Der Krisenstab beschließt, die Notbrunnen öffnen zu lassen. Allein in Berlin sind es 2000. Der Generalmajor des Wehrbereichskommandos III erhält den Auftrag, die Notbrunnen zu sichern und die Wasserverteilung zu organisieren.

    „Und was ist mit der Polizei?“, fragt ein Referent aus dem Innenministerium. „Die Leute können doch nicht mehr die Polizei rufen, wenn irgendwas ist.“

    „Die Silvesterraketen“ sagt der Mann vom Technischen Hilfswerk in die ratlose Runde.

    „Würden Sie uns bitte erklären, was Sie damit meinen“, sagt die Kanzlerin...

    „Es ist sieben Uhr. Hier ist der Deutschlandfunk mit einer Sondersendung. Mit sofortiger Wirkung untersagt die Bundesregierung den Einsatz von Silvesterfeuerwerk. Bis Telefon- und Mobilfunknetze wieder ordnungsgemäß funktionieren, gilt der Abschuss von Silvesterraketen und anderen Leuchtkörpern als Notfallsignal und ist nur als solches einzusetzen. Um in einer Notsituation die Polizei und andere Rettungskräfte zu benachrichtigen, feuern Sie bitte zwei bis drei Leuchtkörper ab. Warten Sie an der Stelle und machen Sie die anrückenden Rettungskräfte auf sich aufmerksam. Feuerwerkskörper für alle Haushalte werden ab sofort bei den Einwohnermeldeämtern und Polizeidienststellen ausgegeben. Der Missbrauch ist strafbar. Die Wasserversorgung...“

    Gegen elf Uhr vormittags liegt ein Schneeschleier über Berlin. Der Wind kommt von Osten.

    Soldaten des Logistikbataillons 172 aus Beelitz haben den Notbrunnen an der Pestalozzistraße Ecke Windscheidstraße geöffnet, mit Flatterband abgesperrt und eine Ausgabestelle aufgebaut.

    Eine Schlange von etwa 120 Menschen steht dort für Trinkwasser an. Die Menschen haben Eimer und leere Plastikflaschen bei sich. „Wie Dritte Welt“, murrt ein älterer Herr im Mantel.

    Eine Frau hält eine Zeitung in den Händen. „Notausgabe“ steht drauf. Und: „Nach dem Lesen bitte weitergeben!“ Schlagzeile: „WÄRME. WASSER. NOTFÄLLE. Alles, was Sie jetzt wissen müssen!“

    „Bei uns ist die Wohnung seit gestern Abend kalt“, sagt eine junge Mutter, die mit ihrem Sohn ansteht. Der Sohn, vielleicht sechs Jahre alt, schaut fasziniert auf die Soldaten.

    Zu diesem Zeitpunkt wacht der Polizeimeister Hubert Schössel auf dem Turm der Sparrenburg in Bielefeld. Neben ihm stehen ein Fernglas und ein Funkgerät.

    Vor sich hat er einen Stadtplan ausgebreitet. Als er in kurzer Folge zwei rote Silvesterraketen in der Altstadt aufsteigen sieht, greift er zum Funkgerät: „Zentrale, Zentrale, hier ist Peter 17. Ein Notsignal südwestlich der Nicolai-Kirche, ungefähre Position: Waldhof. Bitte einen Wagen schicken!“

    Über Lüneburg-Kaltenmoor leuchtet eine ganze Salve von Raketen. Als mehrere Polizeiwagen anrücken, werden sie von Jugendlichen mit Böllern beworfen. Abgesehen von einigen ähnlichen Zwischenfällen, so wird dem Krisenstab vermeldet, scheint dieses Signalsystem aber zu funktionieren.

    Gegen 14 Uhr erhält der Informatiker Volker Jentsch im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld die schriftliche – wenn auch handgeschriebene – Dienstanweisung, nicht weiter nach dem Computervirus zu suchen, sondern alle Systeme herunterzufahren.

    Ein Team einer amerikanischen Spezialeinheit zur Abwehr von Computer- und Cyber-Terrorismus sei auf dem Weg. Volker Jentsch denkt an seine Frau, mit der er seit zwei Tagen nicht mehr gesprochen hat. Und an seine Kinder.

    Zu diesem Zeitpunkt landet auf der US-Luftwaffenbasis Ramstein, die mit dem Strom eigener Generatoren hell erleuchtet ist, eine Transport-Maschine „Hercules C-130“. An Bord sind das Expertenteam, Hilfsgüter und Tabletten zur Entkeimung von Wasser.

    Das Krankenhaus in Westerland auf Sylt ist das erste in Deutschland, bei dem am frühen Abend die Notstromgeneratoren aussetzen. Der Dieseltreibstoff ist aufgebraucht. Gegen 18 Uhr 30 stirbt auf der Intensivstation ein Mann, 43 Jahre alt, der sich am Vormittag mit seinem Auto überschlagen hat und seitdem künstlich beatmet worden ist.

    „Es ist 19 Uhr. Hier ist der Deutschlandfunk mit einer Sondersendung. Der Krisenstab der Bundesregierung bittet alle Bürgerinnen und Bürger dringlichst, zu Hause zu bleiben und Ruhe zu bewahren. Sicherheit und Notfallversorgung kann zu diesem Zeitpunkt auf den Straßen nicht mehr gewährleistet werden.

    Die Neujahrsansprache entfällt. Stattdessen wendet sich die Kanzlerin um 0 Uhr in einer Radioansprache zur aktuellen Lage an die Bürgerinnen und Bürger. Die Ansprache hören Sie auf der Notfrequenz 100,0.“

    In einer dunklen, kalten Wohnung in Halle-Nord (Saale) wird ein kleiner Junge geboren. Eines von 1743 Kindern an diesem 31. Dezember 2012.

    Wer sich zu diesem Zeitpunkt in Wakendorf II (Schleswig-Holstein) befindet, hört aus den Stallungen der Molkerei Leffer ein tiefes, unheimliches Brüllen. Es kommt von den 1200 Milchkühen, die seit fast drei Tagen nicht mehr gemolken werden können.

    Der Bauer, der den Grossbetrieb in 40 Jahren aufbaute, steht weinend im Stall.

    Überall am Himmel über Deutschland platzen Silvesterraketen...

    Um 20 Uhr werden aus vielen deutschen Großstädten Krawalle gemeldet. In München, Hamburg, Köln und Frankfurt brennen Autos. Die Polizei ist vor Ort, aber machtlos, weil die Wasserwerfer nicht betankt werden konnten.

    Irgendwo in einer Wohnung spürt ein alter Mann, dass er die Nacht vielleicht nicht überleben wird. Er will seinen Sohn noch einmal anrufen. Er nimmt den Hörer ab, obwohl er weiß, dass das Telefon nicht geht. Er hält den Hörer ans Ohr.

    In Berlin bewegt sich ein Demonstrationszug auf das Kanzleramt zu. An jeder Straßenecke schwillt die Menge an. Der Verteidigungsminister schlägt vor, das Kanzleramt durch das Feldjägerbataillon 350 schützen zu lassen. Die Kanzlerin lehnt ab. Sie verlässt den Lageraum und liest das Manuskript ihrer Ansprache: „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, in dieser Nacht wende ich mich in tiefster Sorge an Sie ...“

    ENDE

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